Q_P – gibt die Möglichkeit, Verluste zu betrauern

Diese These oder eine ähnliche fehlt m.E. im Queer_Pädagogik Manifesto. Die neun formulierten Thesen zielen in meiner Lesart darauf ab, dass Queer_Pädagogik aufbricht, verändert, irritiert, veruneindeutigt. Während ich diesem Bestreben nur zustimmen kann, fehlt mir in der Liste eine These, die Queer_Pädagogik nicht nur als verändernde Kraft versteht, sondern auch als einen Ort, an dem betrauert werden kann, was sich nicht (mehr) verändern lässt. Beim Betrauern von Verlusten geht es mir im Butlerschen Sinne um die Verluste, die unsere Existenz bedingen. Hierfür spielt die Trauer um verwehrtes Wissen (wie beim Ver_Lernen) aber auch die Erkenntnis eine Rolle, dass ich bei allem Aufbrechen, Verändern und Veruneindeutigen letztlich doch nicht alles und alle gleichzeitig sein oder leben kann. Konkreter geht es darum, einen Raum zu schaffen, an dem betrauert werden kann, wer ich aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse nicht werden konnte bzw. wie ich heute nicht leben kann.

Ich möchte versuchen, dies an einem kleinen Beispiel zu illustrieren: Für mich war es ein wichtiger Moment in meiner Biographie, als ich erkannt habe, dass es vergeschlechtlichte Machtverhältnisse sind, die dazu geführt haben, dass ich letztlich nicht Mathematik studiert habe. Auch wenn ich in der Schule immer sehr gut in Mathe war, wurde mir immer wieder vermittelt, dass ich in diesem Feld eigentlich nichts zu suchen hatte. Dass dieses Gefühl nicht einfach durch mein persönliches neugefundenes Desinteresse an Mathematik entstand, sondern in erster Linie durch sexistische Kommentare von Lehrer*innen und Mitschüler*innen, erkannte ich erst sehr viel später. Ich bedaure es heute nicht, nicht Mathematik studiert zu haben, denn wer weiß, ob ich dann meinen Weg zur Erziehungswissenschaft, zu den Gender Studies, zur Diskursforschung, zum Queer_Pädagogik Manifesto gefunden hätte. Aber es macht mich traurig und wütend, dass mir und vielen anderen diese und andere Möglichkeiten so früh und aus diesen Gründen genommen wurde.

M.E. ist es auch Teil von Queer_Pädagogik, Raum für eine derartig biographische und emotionale Arbeit zu schaffen. Hierbei geht es mir nicht um eine Psychologisierung von (Queer)Pädagogik, sondern darum, anzuerkennen, dass Machtverhältnisse tief in uns eingeschrieben sind. Z.T. ist diese Perspektive auch bereits in den beiden vorherigen Thesen enthalten. Ich denke aber dennoch, dass es sinnvoll wäre, eine These aufzunehmen, in der der Aspekt von Trauer und Verlust explizit enthalten ist, auch wenn dies vielleicht erstmal nicht so sexy wirkt.

Frauke Grenz