Q_P – fürchtet sich nicht vor Widerspruch und Widersprüchen
Ganz wichtig und deshalb jeweils zu konkretisieren. Widersprüche lassen sich in den gegebenen Verhältnissen nicht auflösen, aber auf wessen Kosten gehen sie und für wen sind sie weniger belastend?
Astrid Messerschmidt
Sich nicht vor Widerspruch und Widersprüchen zu fürchten, umfasst zwei Ansprüche. Mit dem zu befürchtenden ‚Widerspruch‘ (Bedeutung a) wird eher eine Reaktion von außen assoziiert, während ‚Widersprüche‘ stärker an innere Widersprüche bzw. Widersprüchlichkeiten in einem Konzept oder einer Beschreibung denken lassen (Bedeutung b).
Aus Bedeutung a) wäre zu folgern, dass ich dem Widerspruch zu antworten weiß, das heißt, dass die Lehrperson sich einlässt auf Streit oder Dialog mit Menschen, die anderer Ansicht sind. Die Voraussetzung dafür ist, dass im pädagogischen Raum Widerspruch überhaupt geäußert werden kann, dass also der Lehr- und Lernraum nicht vollkommen durchdirigiert wird von epistemischer/diskursiver Autorität (‚die legitime Sprecher*in‘) und institutioneller Hierarchie.
Bedeutung b) ruft eine allgemeine Selbstreflexion auf den Plan. Wenn nämlich Widersprüchlichkeiten im eigenen Denken und/oder Handeln nicht gefürchtet, sondern sogar geschätzt werden, bedeutet dies aus queerend pädagogischer Perspektive, dass eigene Motivationen, Begehren, und Selbstverständlichkeiten kontinuierlich befragt werden und zugleich Inkonsistenzen (Unvereinbarkeiten) auch nebeneinander bestehen können, solange sie nicht das Projekt Q_P als Ganzes zerstören. Eine typische Widersprüchlichkeit einer queerenden Pädagogik, wenn sie sich machtkritisch und also dialogisch und nichtautoritär versteht, tritt in Momenten auf, wenn der laut Bedeutung a) eigentlich willkommene Widerspruch Menschen oder Menschengruppen abwertet und verletzt. Dann muss auch die queerende Pädagogik möglicherweise ihre Autorität nutzen, um eine solche Aussage nicht unwidersprochen stehen zu lassen.
Nanna Lüth
Q_P bewohnt die Spannungsfelder zwischen Pädagogik der Vielfalt, Pädagogik universeller Gerechtigkeit und dekonstruktiver Pädagogik. Sie fürchtet sich nicht vor den Widersprüchen, die sich zwischen diesen Ansätzen entfalten, sondern ist damit befasst, entrechtete bzw. diskriminierte Identitäten zu ermächtigen und sie zugleich zu dekonstruieren. In diesem Sinne ist Queerness gelebte Ambiguität. Sie versieht Geschlechter und Sexualitäten mit Namen und versteht sie zugleich als nicht kategorisierbare Differenz. Q_P fürchtet sich auch nicht vor Widerspruch, denn auch im kritischen Dialog, im Dissens und Widerstreit vollzieht sich Ver_Lernen und entfalten sich Möglichkeiten anders zu werden und verändernd zu handeln.
Antke Antek Engel
Eine kritisch-dekonstruktive Q_P, die sich an Kritischer Bildungstheorie (Heydorn, Koneffke, Gamm) und queerer Subjekttheorie (Foucault, Butler) orientiert, versteht Bildung als Praxis der Kritik der Kritik. Weil Bildung bisher weder zur allgemeinen Befreiung der Menschheit aus materialistischen Abhängigkeitsverhältnissen noch zur Überwindung hierarchischer Differenzordnungen führte, hat sie ein kritisches Verhältnis zu sich selbst und ihrer Funktion zu entwickeln. Zentrale analytische Gemeinsamkeiten zwischen kritischer Bildungstheorie und queerer Subjekttheorie bestehen damit zwischen a) der Paradoxie des Unterworfen- und Hervorgebrachtwerdens durch Macht in den Subjektivierungsprozessen (queere Subjekttheorie). Ferner tauchen sie zwischen b) dem Widerspruch von Bildung und Herrschaft (Kritische Bildungstheorie) auf.
Kritische Bildungstheorie macht auf die wechselseitige Relation von Bildung und Herrschaft aufmerksam, wonach die Herrschaft der Bildung bedarf, um sich selbst zu erhalten. Hiermit stellt sie jedoch zugleich ein zentrales Mittel zur Verfügung, um Herrschaft zu hinterfragen (z.B. ökonomische Ausbeutung). Derweil macht queere Subjekttheorie auf die paradoxe Hervorbringung subjektiver Handlungsfähigkeit aufmerksam, die sich erst aus der Unterwerfung unter hegemoniale Subjektnormen konstituiert. Da in beiden Perspektiven kein Ort außerhalb materialistischer Herrschafts‑ bzw. diskursiver Machtverhältnisse existiert, plädieren beide Theorien – jeweils unabhängig voneinander – für eine Perspektive der Kritik der Kritik (in Anlehnung an Peter Euler und Judith Butler). Dies geschieht mit der Absicht, sich den historisch wandelnden Bezügen von Unterwerfung und Freiheit, Bildung und Herrschaft in der Pädagogik anzunähern. Als praktische Konsequenz folgt hieraus, dass eine kritische‑dekonstruktive Q_P ihre Theorien, Methodologien und Praxis darauf hin zu befragen hat, wofür sie sich vereinnahmen lassen. Erst durch die Integration von Kritik als immanentes Prinzip von Bildung wird Q_P in die Lage versetzt, in selbstkritischer Weise zu aufzuzeigen, inwiefern die eigenen pädagogischen Theorien und Praxen den selbstformulierten Bildungsanspruch konterkarieren, sprich: entgegen besserer Absicht Unterwerfung hervorbringen, wo sie Freiheit versprechen.
Florian Cristóbal Klenk