Q_P – strebt danach, Dynamiken von Macht&Begehren zu verändern
Was ist Pädagogik? Eine Antwort darauf könnte lauten: Pädagogik impliziert stets ein Verhältnis, z.B. zwischen Lehrenden und Lernenden sowie Erziehenden und Zu-Erziehenden. Pädagogik setzt also eine spezifische Form von relationaler Differenz voraus. Diese Differenz wird zumeist normativ gesetzt oder professionstheoretisch untermauert. Queer_pädagogische Ansätze zielen darauf ab, Legitimationsfiguren des pädagogischen Verhältnisses zu problematisieren. Zu ihnen zählen generationale Autorität, Altersdifferenz, ‚Bildsamkeit‘, ‚pädagogische Liebe‘, ‚Identität‘.
Aber ist eine Dekonstruktion der Positionen von Erziehenden und Zu-Erziehenden in (queer-)pädagogischen Verhältnissen überhaupt möglich, ohne Identitätszuweisungen und mit ihnen das Setting in Frage zu stellen? Wer lernt in pädagogischen Beziehungen, wer ‚darf‘ lehren? Wie wird ein Begehren nach Wissen, nach Umverteilung von Macht, nach Unbestimmtheit, nach Ambiguität in pädagogischen Beziehungen erzeugt, wenn diese gleichzeitig von einem machtdurchsetzten Begehren nach Anerkennung zwischen Lehrenden und Lernenden geprägt sind? Wessen Begehren erhält Einzug in pädagogische Ordnungen, wenn wir heteronorme und zweigeschlechtliche Regime (zer-)stören? Kann ein Begehren nach queeren pädagogischen Beziehungen unabhängig von der spezifisch pädagogischen (normativen) Relation ihrer Akteur*innen zueinander existieren? Oder liegen Herausforderung und ‚Auftrag‘ von Queer_Pädagogik in der dynamischen Vermittlung zwischen queerem Begehren und pädagogischer Machtrelation?
Max Waldmann
Vorausgesetzt wird, dass Macht&Begehren sich unweigerlich miteinander verflechten (keine Macht ohne Begehren, kein Begehren ohne Macht), dass aber die Formen und Dynamiken dieses Zusammenspiels der Veränderung und damit der (pädagogischen und politischen) Gestaltbarkeit unterliegen. Hier setzt Q_P an, und zwar mit dem Anliegen, diejenigen Formen der Macht und des Begehrens sowie Dynamiken von Macht&Begehren zu überwinden, die Herrschaft und Gewalt stützen.
In diesem Sinne müsste es auch hießen: Q_P transformiert die Kolonialität von Macht und Begehren in dekolonial-queeres Macht&Begehren. Kolonialität – im weiten Sinne rassistischer, ableistischer, sexistisch-heteronormativer, anthropozentrischer Herrschaft/Landnahme (Aneignung und Ausbeutung), die imperial (militärisch, wirtschaftlich, epistemisch, spirituell-religiös, emotional und mittels normativer Gewalt) durchgesetzt wird – entfaltet sich durch ungleiche, oftmals gewaltvolle Beziehungen der Macht und des Begehrens. Q_P setzt auf ein dekolonial-queeres oder queerendes Verflechten von Macht&Begehren, dass Macht ebenso wie Begehren aus ihren Gewalt- und Hierarchiebildungsfunktionen zu befreien sucht. Damit entstehen Möglichkeiten, dass sich Macht als Befähigung, als Widerstand und Empowerment, als kreative Gestaltungsmacht entfaltet.
Antke Antek Engel
Auch das Streben, Dynamiken von Macht&Begehren zu verändern, spielt in diesen Situationen eine große Rolle. Wenn das Schwarze Subjekt hier nicht als Subjekt im Sinne des (spät-)modernen Subjekts gedacht und betrachtet werden kann, sondern immer schon als dessen Objekt in Erscheinung tritt, dann sind Macht&Begehren durch die Objekthaftigkeit strukturiert. Mit Frantz Fanon lässt sich sagen, dass die Objekthaftigkeit schwerlich endet und auch nicht durch Anerkennungspolitiken/-theorien im Anschluss an Hegel zu verändern ist. Da die Objekthaftigkeit immer vorgelagert ist, stellt sie sich im Prozess der sozialen Situation immer wieder her. Zudem ist ihr eine koloniale, sexualisierte Fantasie eingelagert, die Schwarze Menschen immer als übersexualisiert, triebhaft, wenig Vernunft gesteuert u. ä. hervorbringt. Das heißt: Macht&Begehren zu verändern, würde aus meiner Perspektive bedeuten, Begehren umzulernen und auf seine koloniale/moderne Entstehung zu verweisen. Es würde für mich bedeuten, die oben angedeutete Sorge stärker zu zentralisieren und damit Macht&Begehren durch ein drittes Moment zu entkräften.
Denise Bergold-Caldwell
Die Forderung, Dynamiken von Macht und Begehren zu verändern, erinnert mich an Gayatri Spivaks Idee des Verlernens. Sie schreibt davon, dass es nicht einfach ist, kritisches Wissen oder die Grundlagen einer eigenen kritischen Herangehens zu vermitteln, da die Motivation der Mehrheit nicht unbedingt darauf gerichtet ist, den Status Quo zu hinterfragen.
Nanna Lüth
Diese These hängt eng mit der vorherigen zusammen. Ich verstehe sie so, dass Queer_Pädagogik danach strebt, zu verändern, was wir wollen sollen. Was, wen und wie wir begehren, können wir uns nicht einfach selbst aussuchen. Begehrensstrukturen sind von (vergeschlechtlichten, rassifizierten, etc.) Machtverhältnissen durchzogen. Ich verstehe Begehren hier nicht (nur) als sexuelles Begehren, sondern im psychoanalytischen (hier verkürzten) Sinne als das, was wir wollen. Wer wir sein wollen, wie und mit wem wir leben wollen sind das Ergebnis von diskursiv hergestellten Begehrensstrukturen. So legt beispielsweise die Frage 'Was willst du einmal studieren?' oder 'Hast du eine feste Freundin?' nahe, dass eine Ausbildung nicht in Frage kommt und meine (potentielle) Partnerin weiblich sein sollte. Wie Butler betont, haben derartige Anrufungen eine performative Wirkung. Durch Wiederholungen gerinnen sie zu normativen Begehrensstrukturen. In der Queer_Pädagogik geht es darum, diese Dynamiken zu erkennen, zu dekonstruieren und somit zu verändern. Dies hängt m.E. eng mit Ver_Lernen zusammen. Es geht darum, die Möglichkeit zu schaffen, gewohnte Denk- und Wahrnehmungsschemata zu hinterfragen und zu verändern.
Frauke Grenz
Q_P bewegt sich in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zwischen pädagogischer Selbstermächtigung und politischer Veränderung, zwischen Anerkennung von Vielfalt und der Dekonstruktion vereindeutigter Begehrensweisen. Sie rekurriert dabei auf politische wie auch pädagogische Strategien, die zum Teil in einem Widerspruch zueinander stehen. Deshalb hat sie ihren eigenen Strategien auch selbst zu widersprechen, wenn sie Unfreiheit erzeugen, wo sie Freiheit versprechen. Um die eigenen Widersprüche erkennen zu können, hat queere Praxis ein immanentes Kritikverständnis gegenüber den politischen wie auch pädagogischen Begriffen, Praxen und Strategien zu entwickeln, mit denen sie arbeitet und mit deren Hilfe Dynamiken von Macht und Begehren in der Bildungsarbeit mitreguliert werden.
So etwa gegenüber dem Akronym LGBTIQ*, über das die geschlechtliche von der sexuellen Dimension getrennt und vielfältige Lebensweisen erneut durch eine Aneinanderreihung von Buchstaben identitär vereindeutigt werden.
Möchte Q_P Formen der Dynamiken von Macht und Begehren verändern, so hat sie sich auch mit der in politischen wie auch pädagogischen Kontexten dominierenden Praxis des Coming‑Outs selbstkritisch auseinanderzusetzen: Einerseits erscheint diese Strategie problematisch, weil sie Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die individuelle Zuständigkeit und Verantwortung für das öffentliche Bekenntnis zur (ggf. selbstbewusst, ggf. schamhaft etc.) gelebten ‚Abweichung‘ von der Heteronormativität aufbürdet. So hat sich Heterosexualität und Cis‑Zweigeschlechtlichkeit als solche nach wie vor nicht zu erklären. Andererseits transportiert die Praxis des Coming‑Outs einen eurozentristische Vorrang der sexuellen Identität vor der sexuellen Handlung. Dies tut sie, indem sich eine rassistische Wertehierarchie zwischen ‚echten‘ okzidentalen Homosexuellen und ihren ‚emanzipativen‘ Coming‑Outing-Praxen sowie ‚unechten‘ orientalischen Homosexuellen (Männer, die Sex mit Männern haben) (re‑)produziert. So sinnvoll Coming‑Out-Praxen etwa für die historische Entkriminalisierung von Homosexualität sowie die gesellschaftliche Sichtbarkeit von LGBTIQ*‑Lebensweisen innerhalb bestimmter Felder sein mögen, so darf Q_P doch nicht die damit verbundenen postkolonialen Widersprüche verneinen. Konkret gilt dies sowohl für jene, welche sich dieser Praxis unterwerfen, als auch eben für diejenigen, für die ein Coming‑Out weder notwendig noch möglich erscheint.
Florian Cristóbal Klenk
Aus meiner Sicht hat sich hier schon vieles bewegt, was anzusprechen ist, ohne bestehende Konventionen für überwunden halten zu können. Das Selbstbewusstsein derer, die sich als queer oder postheteronormativ beschreiben, ist gewachsen.
Astrid Messerschmidt