Q_P – irritiert die ‚Herrschaft der Normalität‘ durch Queering, Cripping und Dekolonisierung

Q_P lernt und vermittelt in (selbst-)kritischer Weise, wie Pädagogik von einer Institution der Absicherung von Normalität zu deren Irritation und denormalisierenden Umarbeitung beitragen kann. Sie baut auf queerer Herrschaftskritik auf, die sich insbesondere dafür interessiert, wie ‚Normalität‘ – bestehend aus Vorstellungen und Praxen – zur Ausübung von Herrschaft eingesetzt wird. Auch in Erziehung und Bildung drückt sich Herrschaft als u.a. heteronormative, rassistische und ableistische Normalität (z.B. der pädagogischen Beziehung oder des Curriculums) aus. Entsprechend bedeuten Queering, Cripping und Dekolonisierung gezielte Unterbrechungen dieser spezifischen Normalitätsregime. Wie diese wiederum untereinander zusammenhängen oder in Spannung geraten ist Teil einer herrschaftskritischen Analyse, die das queer_pädagogische Geschehen (selbst-)reflexiv begleitet.

Die Praxen der Irritation, die mit den Begriffen Queering, Cripping und Dekolonialisierung aufgerufen sind, unterbrechen die jeweilige Normalität durch semiotische, ästhetische und mediale Interventionen. Normatives Anliegen ist, dass diese eine Denormalisierung und Enthierarchisierung der machtgesättigten sozialen Dynamiken bewirken.

Antke Antek Engel

Die ‚Herrschaft der Normalität‘ drückt sich für mich in manifestierten, teilweise menschenverachtenden, grenzziehenden Politiken aus. Das heißt für mich mit Achille Mbembe gedacht, dass durch globales Kapital und Kapitalflüsse immer mehr Menschen als ‚überflüssige‘ hervorgebracht werden und ihren existentiellen Nöten überlassen werden. Und zwar, ohne dass jemand sich darüber Gedanken macht; ich würde denken, das geht sogar so weit, dass wir gelernt haben, dies als Normalzustand zu verstehen.

Q_P setzt deshalb für mich im globalen Norden dort an, wo die Normalität der Enteignung des Lebens in Frage gestellt wird, denn diese Form negropolitischer Gewalt kennzeichnet für mich die ‚Herrschaft der Normalität‘. Durch diese Infragestellung irritiert Q_P meiner Meinung nach die Ordnung. Im Anschluss an dekoloniale Theorieperspektiven (Quijano, Mignolo, Großfugel, Lugones u.a.) aber auch Schwarzfeministische Theorien (Wynter, Spillers, Davis, Dent, Hartman u.a.) und Schwarze marxistische Theorien (Robinson, Bhattacharrya u.a.) oder auch abolitionistische (Thomson/Loick 2022) setzt Dekolonisierung dort an, wo vergeschlechtlichte, ableistische, rassifizierte und sexuierte Grenzziehungen ungleiche Leben hervorbringen. Sie sind eingebunden in kapitalistische Funktionslogiken und/oder bringen diese hervor. Ohne diese Theoriezugänge gleichzusetzen (sie haben sehr unterschiedliche, teilweise entgegengesetzte Herangehensweisen), ist ihnen eine ‚Politik für das Leben‘ gemeinsam.

Q_P/Queering und Cripping: Dekolonisierung (im Sinne einer materiellen, epistemischen und ressourcenbezogenen Umverteilung) ist aber nicht zu trennen von Fragen des Queerings und Crippings. Weil auch sie eine Logik der Verwertung stören und damit meiner Meinung nach Platz schaffen, Normalität zu hinterfragen und es ermöglichen, Verhältnisse neu zu denken. Auch hier geht es, mit Bezug auf Judith Butler, um Politiken für das Leben. Ein Leben, das die körperliche Seinsweise im Sinne von Anne Waldschmidt oder Swantje Köbsell nicht immer mit einer ableistischen Norm abgleichen muss; dessen Wirken und Sein ohne ableistische Einschränkungen verlaufen kann. Ein Sein, das auch außerhalb der alles zerstörenden kapitalistischen Logik existieren kann.

Herrschaft – Kolonialität – Geschlecht/Sexualität: Im Anschluss an Maria Lugones und andere ist die ‚Normalität‘ der Zweigeschlechtlichkeit, die funktional für ökonomische Interessen, Staat und Kolonialismus war, mit dem Kolonialismus erst richtig entstanden. Sich auf queer zu beziehen, bedeutet deswegen für mich auch immer wieder zu verdeutlichen, dass auch dies mit kolonialen Strukturen verquickt ist, und zwar in vielerlei Hinsichten. Die Devianz wurde im Kolonialismus von den Kolonisatoren (also europäischen Ländern) hervorgebracht. Heute erweist sich die Hinwendung zu einer ‚Vielfalt der Geschlechter und Sexualitäten‘ aber auch häufig als Zeichen der Überlegenheit westlicher Länder. Gabriele Dietze arbeitet beispielsweise heraus, dass diese Geste der Überlegenheit die eigenen Diskriminierungspraxen unkenntlich macht und gleichzeitig andere Länder und Menschen als vorgeblich defizitär hervorbringt. Deshalb gilt es meiner Meinung nach, Kontexte und Machtasymmetrien zu bedenken und queer zu lesen. Also hervorzuheben, wann und wie über wen gesprochen wird und die Geschichtlichkeit mit einzubeziehen.

Q_P ist für mich deshalb der Versuch, eine Pädagogik zu begründen, die sich den aufgezeigten Machtachsen entgegenstellt, die Normalität hinterfragt und Transformation anbietet. Unlängst haben Schwarzfeministische und queere Theoretiker*innen von Communities of Care (Vanessa E. Thompson, SA Smyth, Jin Haritaworn) gesprochen, in die genau diese zentralen Punkte aufgenommen werden könnten und wir alle ein besseres Leben hätten. Q_P kann für mich die Möglichkeit sein, diese Communities durch Pädagogik aufzubauen.

Denise Bergold-Caldwell

Unter welchen Voraussetzungen ist diese Irritation möglich? Die drei Performanzen ‚Queering, Cripping, Dekolonisierung‘ sind aus meiner Sicht nicht auf derselben Ebene. Bei Queering und Cripping gibt es auch ein spielerisches Element, eben eine Performance. Hinter ‚Dekolonisierung‘ steht demgegenüber der Gedanke einer revolutionären Überwindung aller Strukturen und Denkmuster, die historisch kolonial geprägt sind. Dies setzt einen politischen Umsturz voraus und beinhaltet mehr als Irritation.

Astrid Messerschmidt

Diese (aus meiner Sicht, die dritte) These spricht über Herrschaft durch Normalisierung, die durch Cripping, Queering und Dekolonisierung angefochten werden soll. Solange ich diese drei kritischen Konzepte nebeneinander stehen lasse, wird ihre Unterschiedlichkeit betont. Das ist zwar nützlich, da die verschiedenen Herangehensweisen unterschiedliche Geschichten und Anliegen haben, in der Nebeneinanderstellung wird jedoch nicht deutlich, wie sich Queering, Cripping und Dekolonisierung zueinander verhalten, also wo es zum Beispiel Überlagerungen, Reibungspunkte oder besondere Synergien gibt (vgl. Dietze/ Haschemi Yekani/ Michaelis).

Nanna Lüth

Q_P begrüßt Irritation, den Zustand des Verunsichertseins, weil die Ent‑Täuschung der Selbst‑Verständlichkeit ein spezifisches Bildungspotenzial aufweist. Dieses liegt darin, sowohl normierende als auch normalisierende Macht‑ und Herrschaftsverhältnisse in ihrer gesellschaftlichen Nicht‑Notwendigkeit, das bedeutet, in ihrem historischen Gewordensein wie auch in ihrer sozialen Veränderlichkeit zu thematisieren. Die durch Queering, Cripping und Dekolonialisierung von Pädagogik initiierte Erklärungskrise der in Erziehung, Bildung und Sozialisation reproduzierten Differenzordnungen unterbricht die hegemonialen Gewissheiten und eingefleischten Gewohnheiten. Ferner stört sie diese und stellt ihre Funktion infrage. Dies erlaubt es, in der pädagogischen Theorie und Praxis in ein selbstkritisches Verhältnis zu diesen Ordnungen zu treten und sie perspektivisch – soweit als möglich – umzugestalten.

Die Entselbstverständlichung ableistischer, heteronormativer, klassistischer und rassistischer Differenzordnungen sowie deren Interdependenz, die ein Individuum – nicht zuletzt durch Pädagogik – dazu befähigt, sich als ein Subjekt zu konstituieren, transportiert ein weiteres Potenzial. Dieses manifestiert sich darin, sich in Bildungsprozessen von hegemonialen Differenzordnungen, die soziale Ungleichheitsverhältnisse legitimieren und unsere Welt-, Selbst- und Anderenbilder prägen, zu desidentifizieren. Entselbstverständlichung durch Bildung eröffnet die Chance zur Veränderung der verinnerlichten Bilder und damit die Möglichkeit zur Ent‑ und Re-Subjektivierung. Das heißt, sie bietet die Option, jene machtvollen Subjektnormen in ihrer sprachlichen und handelnden Wiederholung zu unterbrechen und zu verschieben respektive die Ordnung derart zu verändern, wie das Subjekt im Bildungsprozess selbst ein anderes wird. Irritation kann auf diese Weise zu einem Impuls für die Dynamisierung von Differenzordnungen werden, um die Herrschaft der Normalität in Bewegung zu setzen und zu transformieren. Dies geschieht im Sinne des allgemeinen Bildungsanspruchs in einer Weise, die kollektive wie auch individuelle Freiheit erhöht, innere und äußere Unfreiheit hingegen zu reduzieren sucht. Ob eine Irritation tatsächlich zur Dynamisierung der Herrschaft der Normalität führt oder aufgrund ihres beunruhigenden Effekts nicht doch gerade zu deren Stabilisierung einen Beitrag leistet, bleibt dabei ebenso ungewiss wie der Erfolg des Bildungsprozesses selbst.

Florian Cristóbal Klenk